Mario Reiter

Messung des Oberflächenwiderstandes

Ionische Verunreinigungen können bei Vorhandensein von Potentialdifferenzen unter dem Einfluss von Feuchtigkeit zu elektrochemischer Migration (ECM) und damit letztlich zum Ausfall der Elektronik führen. Insbesondere die Anwendung höherer Spannungen im Bereich der Leistungselektronik und zunehmend auch im Automotive-Bereich stellt hohe Anforderungen an die Systemqualität und Zuverlässigkeit. Um einen weiteren Baustein zur Zuverlässigkeitsbewertung zu liefern, werden die Oberflächenwiderstandsmessungen am ISIT mit einer SIR-Leiterplatte mit 10 Standardkämmen durchgeführt. Dabei können standardmäßig bis zu 80 Kanäle parallel gemessen werden.

Abbildung 1: Beispiel für leitfähige Dendriten unter einem SMD-Kondensator

Nach wie vor sind Weichlötverfahren zur mechanischen Fixierung und elektrischen Verbindung von Bauteilen auf Leiterplatten aus der Elektronikfertigung nicht wegzudenken. Vielmehr steigern sich die Ansprüche an die Technologie und Qualität von Lötverfahren seit einigen Jahren deutlich. Trotz zunehmender Integrationsdichte müssen die Baugruppen immer härteren Umgebungsbedingungen ausgesetzt werden. Die Zuverlässigkeit ist oft über einen langen Zeitraum zu garantieren, z.B. in der Automobilelektronik. Qualitätsanforderungen, die früher nur Spezialanwendungen und Nischenmärkten gestellt wurden, müssen heute unter den wirtschaftlichen Randbedingungen von Massenprodukten umgesetzt werden.

Die chemische Reaktivität von Flussmitteln ist notwendig, um zu optisch und auch funktional einwandfreien Lötstellen zu gelangen. Diese Reaktivität kann jedoch mittel- bis langfristig die Zuverlässigkeit des Produkts gefährden. Der hierbei wesentliche Effekt ist die elektrochemische Migration: Die auf der Leiterplatte verbleibenden Ionen werden durch Einwirkung von Feuchte mobil und greifen die metallischen Strukturen an. Aufgrund von Potentialdifferenzen, also in jeder elektronischen Schaltung, führt ein sukzessives Ablösen und Wandern von Metall-Ionen zum Wachstum von sogenannten Dendriten: Dies sind bäumchenartige Strukturen, die von einem Kontakt zum nächsten wachsen können und schließlich Kurzschlüsse verursachen (Bild 1). Dieser Vorgang kann innerhalb weniger Sekunden oder über deutlich längere Zeiträume ablaufen.

Bedeutung von genormten Kammstrukturen

Abbildung 2: SIR-Test-Board mit 10 Kammstrukturen B24 nach IPC-TM-650 (ANSI/J-STD-004 / 05)

Immer kleiner werdende Leiterplattenstrukturen begünstigen die zugrundeliegenden Ausfallmechanismen. Für den Anwender können Folgen wie Rückrufaktionen oder Produkthaftung fatal sein.
Weitere Arten der Verunreinigung können beispielsweise aus unsachgemäßer Lagerung oder Handhabung entstehen, z.B. Fingerabdrücke (Fette, Salze), Stäube aus der Arbeitsumgebung, organische Ablagerungen usw. Hier spielt auch die Substrat-Zuliefererqualität eine Rolle. Indirekt kann jede Form der Oberflächenverunreinigung die elektrochemische Migration begünstigen, indem z.B. die Haftung einer Schutzlackierung vermindert wird und so das Eindringen von Feuchte ermöglich wird.

 

Auch ohne elektrochemische Migration kann eine elektronische Schaltung funktional beeinträchtigt werden, wenn die Oberflächen der Baugruppe nicht frei von Rückständen sind: Hoch verstärkende Schaltungen, z.B. Operationsverstärker, können durch Leckströme im µA-Bereich bereits zu unerwünschten Schaltvorgängen gebracht werden.

Anhand dieser Beispiele lässt sich ersehen, dass der Oberflächenwiderstand (engl. „Surface Insulation Resistance“, SIR) eine bedeutende Rolle bei der Beurteilung der langfristigen Zuverlässigkeit einer elektronischen Baugruppe spielt.

Die Messung des Oberflächenwiderstandes auf genormten Kammstrukturen wird von Lotpastenherstellern und industriellen Anwendern als ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der chemischen Langzeitstabilität der Baugruppe angesehen.

Das Fraunhofer ISIT bietet hierzu eine SIR-Leiterplatte mit 10 Standardkämmen (Abbildung 2) an und führt die entsprechenden Oberflächenwiderstandsmessungen durch. Dabei können standardmäßig bis zu 80 Kanälen parallel gemessen werden.

Prüfbedingungen

Abbildung 3: Deutliche Unterschiede des Kurvenverlaufes (Oberflächenwiderstand) - alle 3 Flussmittel erreichen sicher den Grenzwert 100 MOhm

Die Prüfbedingungen sind in den internationalen Normen J-STD-004 (Requirements for soldering fluxes) und J-STD-005 (Requirements for soldering pastes) festgelegt.

Nach IPC-TM-650 (ANSI/J-STD-004 / 05) wird der Oberflächenwiderstandstest unter folgenden Bedingungen durchgeführt:

Vorspannung:         45-50V

Messspannung:      100V

Klima:                     85% rLF, 85°C

Testdauer:              24h, 96h, 168h

Als Grenzwert ist ein Mindestoberflächenwiderstandswert von 100 Megaohm für die gesamte Laufzeit vorgeschrieben. Die Prüfbedingungen werden oft auch durch Kundenforderungen auf die entsprechende Anwendung modifiziert (z.B. Verwendung kleinerer Spannungen, wie 24V oder 5V; Verwendung von anderen Klimata, z.B. 92% rLF, 40°C oder Klimawechselbeanspruchungen).

Die zu prüfenden Flussmittel/Lotpasten verhalten sich unter Umständen sehr unterschiedlich, hinsichtlich des Absolutwertes des Oberflächenwiderstandes bzw. hinsichtlich des Kurvenverlaufes (Tendenz: fallend, konstant oder steigend - siehe Abbildung 3 – exemplarische SIR-Kurven für 3 verschiedene Flussmittel).

Qualitätssicherung der Kammstrukturen

Abbildung 4: Kamm-Struktur (HASL) mit deutlicher Dendritenbildung nach der SIR-Test

Nach der Klimaprüfung werden die Kammstrukturen auf Veränderungen (speziell Dendritenbildung) untersucht. Ein Wachstum von dendritischen Strukturen ist dabei nicht erlaubt (siehe Abbildung 4) und somit ein Rückweisungskriterium.


Der Standard-SIR-Test erfolgt in der Regel auf der unbestückten Platine, um die Eigenschaften der Lötmittel (Flussmittel in verschiedenen Lotkonfigurationen – Lotpaste, Wellenlot-Flussmittel, Lotdrähte) zu beschreiben.
Ferner ist auf unbestückten Platinen zusätzlich die Überprüfung der Güte von Reinigungsprozessen bzw. der Wirksamkeit von Passivierungsprozessen (z.B. Abdecken durch Schutzlackschichten) durch den Oberflächenwiderstandstest möglich. Die beschriebenen Messungen qualifizieren die Langzeit-Eigenschaften der Löt-, Reinigungs- und Lackiermedien unter Klimabelastung.

Unberücksichtigt bleibt hier der Einfluss der Bauteilgeometrie (Abstände, Spalte, kapillare Effekte, etc., reale lokale Flussmittelmenge- und verteilung), sowie der Einfluss sekundärer Materialien (Bauteiloberflächen, Topografie, Wechselwirkungen, Verunreinigungen, etc.). Zu diesem Zweck können die SIR-Teststrukturen direkt dem Footprint-Design der Bauteile angepasst oder direkt unter Bauteilen positioniert werden. Dazu werden spezielle, genormte Testleiterplatten angeboten
(z.B. IPC B-36, IPC B-52), die ebenfalls mit dem bestehenden Aufbau vermessen werden können.